Laut aktuellem Bildungsbericht ist der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen durchbrochen. Nicht nur wird seltener das Abitur erreicht. Es gibt auch weniger mittlere Bildungsabschlüsse. Die Digitalisierung an Schulen lasse zu wünschen übrig. Der nationale Bildungsbericht wurde am 23. Juni 2020 veröffentlicht. Er erscheint alle zwei Jahre und bezieht sich auf einen Untersuchungszeitraum von zwei Jahren. Die Veränderungen des Bildungssystems aufgrund von Corona werden nicht vom Bericht erfasst. Spannend ist der Bericht dennoch.
Die mit Abstand wichtigste Information ist das konstatierte und für gut befundene Ende der Bildungsexpansion. Daran wird auch ersichtlich, dass der Bericht ein politisches Weltbild mitliefert – und das ist konservativ. Wenn nun weniger Hochschulzugangsberechtigungen erreicht werden und folglich auch das Wachstum der Student*innenschaft gebremst wurde, wird darin erstmal kein Problem gesehen. Vielmehr sei eine Art Sättigung zu verzeichnen. Nun wäre wohl eine Grenze erreicht, die sich dadurch erkläre, dass nun alle Menschen mit dem kognitiven Potenzial ein Abitur machten. Das sei logisch und ganz normal. Und damit ist der Sprecher des Berichts Herr Maaz auch ganz zufrieden. Schließlich würde ein weiterer Anstieg der Zahlen andernfalls auf eine Entwertung der Noten hindeuten. Das sei zum Glück nicht der Fall. Da haben wir aber Glück gehabt! Wo kämen wir denn da hin, wenn jetzt auf einmal Noten nichts mehr Wert sein?! DA ist es schon bessere wenn der Hälfte der Menschen eine bestimmte (vergleichsweise gut ausgestattete) Form der Bildung verschlossen bleibt. Am Ende lernt noch jemand zu viel! Doch woher weiß der pfiffige Herr Marz, wieviel Menschen das kognitive Potenzial für „höhere“ Bildung haben? Warum konnte er nicht schon früher prognostizieren, dass dieses Limit bei knapp 50 % liegt? (Frühere Konservative haben den Wert übrigens wesentlich restriktiver angelegt. Eher bei 5 % und weniger. Und dem Gehirn von Frauen stand man auch skeptisch gegenüber. Soviel nur nebenbei.) Mit welchen Methoden misst Herr Maaz dieses feststehende Potenzial? Und lässt sich das schon pränatal abklären? Viele besorgte Eltern wollen schließlich wissen, ob es sich lohnt, eine Wohnung in der Münchener Maximiliamsstraße für das dortige Studium des Sproßes zu kaufen! Andernfalls könnten sie das Geld eher in eine Jacht investiere. (Man will sich ja auch mal ein bisschen was gönnen!) Die gute Nachricht: Sie können sich den Weg zur medizinischen Beratung sparen. Statistisch steht bereits fest, da
ss ihr Kind höchstwahrscheinlich den Weg zum Studium meistert. Denn auch wenn sich das Gerede von kognitiven Potenzialen so anhört, als ob junge Menschen nun entweder mit einer Abi-Platine im Kopf zu Welt kommen oder nicht, hängt der Bildungserfolg offensichtlich an sozialen Kriterien. Das zeigt auch der nationale Bildungsreport. Migrant*innen und Arbeiter*innenkinder haben es im deutschen Bildungswesen signifikant schwerer. Wurde ihnen von Gott nicht die notwendige Platine verbaut? Das möchten wohl all jene glauben, die Klassenverhältnisse für natürlich halten wollen.
Tatsächlich ist die Bildungsexpansion kein Naturereignis, wie eine Flut auf die Ebbe folgt. Die Bildungsexpansion war ein sozialdemokratisches Ziel, das mit einigem Kraftaufwand verfolgt wurde. Übrigens standen zeitweise sogar die selbsternannten Christ- und Freidemokrat*innen hinter diesem Ziel – aus nationalökonomischen Gründen versteht sich. Für diese galt es den Wirtschaftsstandort zu retten und sich den Platz an der Sonne zu sichern, wie man ganz früher einmal sagte.
Jedenfalls wurde die Öffnung des Bildungswesen u.a. dadurch erreicht, dass Studiengebühren abgeschafft wurden, ein BAföG als Vollzuschuss installiert wurde, zusätzliche Hochschullehrer*innen eingestellt wurden. Die SPD hat sich darüber hinaus für Gesamtschulen und Reformhochschulen eingesetzt, die andere Bildungs- und Wissenschaftskonzepte vertreten haben. In dieser Zeit sind auch Fachhochschulen eingeführt worden. Insbesondere Gesamtschulen und FHs sollten sicherstellen, dass auch Arbeiter*innenkinder einen Weg zu hochspezialisierten Berufen schaffen. Doch selbst heutzutage werden ökonomische und politische Spitzenpositionen eher von Universitätsabsolvent*innen eingenommen. (Ruppert Stadler war einst ein Vorzeigebespiel, dass man auch mit dem FH-Abschluss hoch hinauskommen könne. Dass er kein Vorbild ist und wir Klassenherrschaft eher abschaffen sollten, hat er noch einmal auf seine ganz eigene Art gezeigt.)
Wenn nun die Bildungsexpansion zum Erliegen kommt, dann erklärt sich das an einer zunehmend elitären Bildungspolitik, die vor allem von der CDU vorangetrieben wird. Es wäre an der Zeit Klassen- und Kursgrößen zu reduzieren, um gute Betreuungsverhältnisse zu erreichen. Denn nur so ließen sich Bildungsungleichheiten verringern. Die Sparpolitik von Konservativen (und Neoliberalen anderer Parteien) haben dazu geführt, dass Bildungseinrichtungen unterfinanziert sind. Sie haben Studiengebühren wieder eingeführt und die regionalen Bildungsungleichheiten verschärft. BAföG erhalten inzwischen nur noch 12 % der Studierenden. Es ist auch kein Vollzuschuss mehr sondern zur Hälfte ein zinsloses Darlehen. Verrückt, dass nicht mehr so viele Menschen eine Hochschulzugangsberechtigung anstreben. Warum auch?
Und dass weniger aufs Gymnasium kommen? Das erklärt sich wohl schon dadurch, dass die Öffnung des Gymnasiums kein politisches Ziel mehr ist. So fallen dann auch Schulempfehlungen aus. Zudem müssten Gymnasien auch ausgebaut und umgeformt werden. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass sie keine Gesamtschulen sind und eben keinen guten Weg für einen Bildungsexpansion darstellen. Für viele Kinder und Jugendliche aus weniger privilegierten Haushalten hat sich der Besuch des Gymnasiums als nicht sonderlich erbauliche Erfahrung erwiesen. So würden die Gymnasien es schwer haben weitere Schüler*innen aufzunehmen, wenn keine zusätzlichen Kapazitäten geschaffen werden. Vor allem werden sie mit einigen Ansprüchen von Schüler*innen auch nicht fertig. Bildungsnachteile lassen sich nur (sozial-)pädagogisch mit einem hohen Betreuungsaufwand ausgleichen. Dafür sind Gymnasien nach ihrem bisherigen Selbstverständnis nicht da. Auch vor diesen Hintergründen ist es klar das Empfehlungen an ihr Limit kommen und Gymnasien nur bis zu einem bestimmten Punkt Schüler*innen aufnehmen. Es gibt keine objektive Grenze, sondern ein politisch gewollte Grenze, die sich über die Gestaltung der weiterführenden Schulen ausdrückt. Von kognitiven Potenzialen zu sprechen ist biologistischer Müll, der den eigentlichen Auftrag von Bildung verneint.
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