Mit dem Programm „Tenure track“ wollen Bund und Länder die prekäre Stellensituation in der Wissenschaft abfedern. 1000 angehenden Wissenschaftler*innen werden auf diesem Wege sichere Stellen verhießen. Leider ist das völlig unzureichend: Es bedarf wesentlich mehr zusätzlicher Wissenschaftler*innen, um eine solide Lehre an den Hochschulen zu gewährleisten. Zudem weigern sich die Länder weitere Professuren zu schaffen. Das bedeutet ironischerweise, dass zwar zusätzliche prekäre Nachwuchsstellen geschaffen wurden (die entgegen des Etiketts noch lange keine Professur sicher haben), aber keine zusätzlichen Dauerstellen. Die 1000 Jung-Wissenschaftler*innen sollen dereinst Professor*innen werden. Dazu werden sie (wenn sie sich in einer aufwendigen 6 bis 12-jährigen Prüfungsphase bewährt haben) auf Positionen gesetzt, die es jetzt schon gibt. Genau diese Positionen hätten ebenso gut andere Wissenschaftler*innen besetzt. Nun haben 1000 Leute ein klein wenig mehr Sicherheit auf ihrem Karriereweg. Im Umkehrschluss verringert sich für die „bisherigen“ Stellen der Pool von Professuren, um die gebuhlt wird, um exakt 1000. (Aber verratet das niemandem. Am Ende senkt das noch die Arbeitsmoral im Wissenschaftsprekariat.)
„Mehr Stellen sind immer gut.“ Mit einem solchen Argument kann jede noch so herabwürdigende Lohnarbeit schön geredet werden. Schafft endlich mehr entfristete und gut bezahlte Stellen! Am besten ihr schafft mehr Professuren und senkt die albernen Zugangsvoraussetzungen.
Warum reicht es nicht aus über die Anzahl an Stellen nach zu denken?
Die gewerkschaftlich geführte Debatte um prekäre Beschäftigungsverhältnisse, dreht sich selbstverständlich nicht nur um die Anzahl an Stellen, Vertragslaufzeiten oder Entfristungen. Es geht auch darum, wie die Stellen bzw. Verträge beschaffen sind. Schließlich bringt es nichts eine Stelle zu haben, die komplett abgewertet ist. Für Promovierende geht es zum Beispiel um die Frage, ob das Volumen ihrer Stellen der tatsächlichen Arbeitszeit entspricht (Sind sie etwa auf einer 65%-Stelle müssen aber über 40 Stunden die Woche arbeiten?) und welche ihrer Tätigkeiten überhaupt zu ihrer wissenschaftlichen Qualifikation zählen. (Postdocs haben zum Teil ähnlich Probleme.) Für Lehrbeauftragte geht es noch viel banaler darum, nach Mindestlohn bezahlt zu werden, in den Genuss von Mutterschutz und Urlaubsanspruch oder in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu kommen. Hilfskräfte außerhalb von Berlin wollen tariffähig werden, Krankheitstage ausgezahlt bekommen und nicht mit sachfremden Aufträgen gegängelt werden. Ja, auch diese Gruppe muss erwähnt werden. Ihr schlechter Lohn, der meist am Mindestlohn kratzt und realiter oft darunter liegt, wird dadurch gerechtfertigt, dass sie im Rahmen ihrer Arbeiten wissenschaftlich qualifiziert würden. Das geschieht (wie auch in vielen Fällen bei Promovierenden) mitnichten, wenn sie Verwaltungstätigkeiten übernehmen müssen. Diese Tätigkeiten könnten im Rahmen von geltenden Tarifvereinbarungen von vollen, entfristeten Stellen in der Verwaltung übernommen werden, wenn sie dauerhaft anfallen.
Tatsächlich werden wissenschaftliche Arbeiter*innen dazu benutzt, solide Stellen in der Verwaltung zu reduzieren, weil sich angehende Wissenschaftler*innen für ihr Karriereziel den Lehrstühlen unterwerfen müssen. Diese sind nicht nur Arbeitgeber*innen, sondern auch Prüfer*innen und Vermittler*innen von Jobs, Gutachter*innen für Stipendien oder andere Anschlussfinanzierungen. Die Abhängigkeit und daraus resultierende Willfährigkeit könnte kaum größer sein.
Nicht zuletzt müssen aus diesen Gründen die Arbeitsverhältnisse im Mittelbau unter Berücksichtigung der ordentlichen Professuren bewertet werden. Die Prekarität des Mittelbaus wird verständlich, wenn ihre zunehmende(!) Abhängigkeit von Professuren beachtet wird. Diese Abhängigkeit ist durch das Abschmelzen entfristeter oder gar beamteter Stellen (wie der akademischen Ratsstellen) hergestellt worden. Zudem ist die geringe Anzahl von Professuren der Grund für die hohe Zahl an Arbeitskräften mit schlechter ausgestatteten Stellen. Es geht also darum, dass auf Kosten der Lebensbedingungen von Arbeiter*innen im Mittelbau Geld gespart werden. Politisch könnte dem begegnet werden, indem mehr Professuren geschaffen würden und der Zugang zu diesen vergleichsweise lukrativen Stellen erleichtert werden würde. Es ist doch hochgradig fragwürdig, ob man erst nach einer ca. 20 jährigen Ausbildungszeit (Studium + Promotion + Habilitation + Übergangsphasen) in eine vernünftige Stelle gelangen kann. Das ist nicht nur unter sozialpolitischen Gesichtspunkten zu kritisieren, sondern auch unter inhaltlichen. Ist die Ausbildung in diesen vielen Jahren so gut, dass die Akademiker*innen stets dazulernen? Wird dort nicht durch schlechte Betreuung unglaublich viel Zeit verschwendet? Und sind nicht Viele schon nach ihrer Promotion Top-Wissenschaftler*innen? Und ist es nicht auffällig, dass es an der wissenschaftlichen Disziplin hängt, wie „leicht“ Akademiker*innen in (halbwegs) solide Arbeitsverhältnisse gelangen?
Uns zeigen sich da einige Zusammenhänge auf. Kurz gesagt: Eine Stelle kann nicht ohne ihre konkrete Ausformung und den hierarchischen Kontext von Dienstverhältnissen bewertet werden.
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