Lernfabriken meutern…! Diskussionsanstoß der Konferenz in Essen im November 2016
Die Bedingungen, unter denen Bildung stattfindet, sind katastrophal. Völlig undemokratische Strukturen; Leistungsdruck durch Turboabitur, Notenwahn und Regelstudienzeit; soziale Ausgrenzung durch Gebühren und mangelnde Förderungsmöglichkeiten; wachsender Einfluss von Unternehmen; Unterfinanzierung vom Personal bis zur Gebäudeinstandhaltung; überarbeitete Lehrende; zu große Klassen und Kurse. Dies alles führt nicht nur zu miserablen Lehr- und Lernbedingungen, es macht Menschen krank. Daher ist es auch kein Geheimnis mehr: Das derzeitige Bildungs- und Wissenschaftssystem ist gescheitert.
Die Situation in den Bildungseinrichtungen ist dabei kein Einzelfall: Auch gesamtgesellschaftlich hat die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter Marktlogik und Profitmaximierung in eine soziale, ökonomische und ökologische Sackgasse geführt. Die soziale Ungleichheit und das Aussortieren von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit hat massiv zugenommen. Enorme Unsicherheit, Zukunftsängste, Depression und Armut sind die Folge. Auf der einen Seite versucht die gesellschaftliche Rechte á la AfD, Le Pen, Erdogan oder Trump, diese Probleme für natürlich zu erklären und vermeintlich Schuldige zu benennen. Andererseits kämpfen weltweit soziale Bewegungen für eine emanzipatorische Perspektive jenseits von Leistungsdruck und sozialer Ausgrenzung. Positives Beispiel hierfür sind die Schul- und Unibesetzungen die in Brasilien ablaufen, die bereits über 1000 Schulen und rund 130 Universitäten im Herbst 2016 besetzen und sich gegen die drastischen Kürzungsmaßnahmen der Regierung richten.
Genau hier setzt die Auseinandersetung um Bildung an: statt eine Erziehung zur Erfüllung von Anforderungen muss sie die Entwicklung demokratischer Handlungsfähigkeit sein. Wir wollen uns nicht für aufgezwungene Interessen verbiegen lassen, sondern selbsttätig an den für uns relevanten Fragen arbeiten. Wir müssen dem herrschenden Zustand die Maske der Natürlichkeit entreißen, die Veränderbarkeit erkennen und auf dieser Grundlage an der sozialen, ökologischen und friedlichen Gestaltung der Welt arbeiten. Damit entziehen wir auch rechten Auffassungen den Nährboden. Denn es macht einen gehörigen Unterschied, ob unsere Bildungseinrichtungen autoritätshörige Rädchen im Getriebe oder solidarische, mündige Menschen verlassen! Dadurch hat die Auseinandersetzung um Inhalt und Organisation der Bildung eine enorme gesellschaftliche Bedeutung. Deswegen brauchen wir auch ein anderes Bildungssystem — ausfinanziert, demokratisiert, befreit von Leistungswahn und zugänglich für alle. In der KiTa, in der Schule, der Hochschule, der Ausbildungsstätte und in Zusammenhängen der Erwerbslosenarbeit. Es geht uns alle an: von der Schülerin, dem Dozenten und der Hausmeisterin bis zum Erzieher, der Lehrerin und dem Azubi.
Schritte unserer Bewegung sind:
Soziales:Bildung muss auch sozial ermöglicht werden: Wir treten ein für ein bedarfsdeckendes, elternunabhängiges BAFÖG, das nicht zurückgezahlt werden muss, auch für Schüler*innen! In diesem Sinne muss die Ausbildung auch bedarfsgerecht vergütet werden.
Inklusion statt Selektion: Statt uns nach Schularten oder zwischen Bachelor und Master spalten (und dadurch in Konkurrenz setzen) zu lassen, treten wir ein für „eine Schule für alle“, den Master als Regelabschluss und eine garantierte Übernahme nach der Ausbildung! Soziale Öffnung der Bildungseinrichtungen, insbesondere auch für geflüchtete Menschen! Alle Bildungsgebühren müssen fallen, weil sie sozial ausschließend sind. Außerdem fordern wir die Rücknahme aller rassistischen Asylgesetze.
Bedarfsgerechte Finanzierung statt Kürzungen durch Schuldenbremse: Der momentan privatisierte Reichtum muss gesellschaftlich sinnvoll in die Ausfinanzierung von öffentlichen Bildungseinrichtungen umverteilt werden! Gute Bildung braucht gute Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten: für unbefristete Arbeitsverhältnisse, höhere Löhne und bessere Betreuungsverhältnisse.
Demokratie statt Fremdbestimmung: Wir wollen die Inhalte und Bedingungen unseres Lernens gemeinsam mit allen Mitgliedergruppen gestalten. Daher engagieren wir uns für die Ersetzung von Hierarchie, Managementstrukturen und Marktmechanismen in den Einrichtungen der Bildung durch demokratische Prozesse von unten nach oben.
Kritisches Lernen statt wirtschaftskonforme Anpassung: Kooperative Rückmeldungen im Lernprozess statt bewertende Prüfungen! Abschaffung von Noten und ECTS-Punkten.
Wir wollen als Besatzung die Lernfabriken meutern und sie zu Orten des lebendigen Lernens und der Gesellschaftsveränderung verwandeln. Wir wollen das Lernen von seinen ökonomischen Ketten befreien und zu einem Ort gesellschaftlicher Veränderung machen! Bildung ist ein Menschenrecht, kein Privileg!
Um das durchzusetzen, führen wir unser bildungspolitisches Engagement in Schule, Betrieb und Hochschule im Bündnis “Lernfabriken … meutern!” bundesweit zusammen, um im Sommer 2017 die Frage von Bildung, Lernen und Ausbildung mit Bildungsarbeit, Aktionen und Demonstrationen ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu rücken! Dafür suchen wir auch das Bündnis mit allen Akteur*innen, die sich gegen Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung richten und die Ideologie der Ungleichheit und der Konkurrenz angreifen. Dazu gehören zum Beispiel Organisationen, die sich gegen die verstärkte rassistische Umgestaltung des Bildungssystems wenden. Mit unseren Mitstreiter*innen wollen wir die gesellschaftliche Debatte verschieben, konkrete Verbesserungen erkämpfen und eine solidarische Perspektive jenseits des herrschenden Bildungssystems aufwerfen. Damit sind wir auch Teil der solidarischen Alternative zur behaupteten Alternativlosigkeit!
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