Ab August bzw. September startet die nächste Generation an jungen Menschen ihre Ausbildung. So war zumindest vor einigen Monaten noch der Plan. Doch nun kommt Vieles anders. Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass zahlreiche Betriebe in ökonomische Schwierigkeiten geraten sind. Die Weltwirtschaft steht vor einer Rezession. Der heutigen Generation an Berufseinsteiger*innen (der Generation Corona) wird vorausgesagt, dass sie die Hauptlasten der Krise tragen werde. In einigen europäischen Ländern ist bereits die Jugendarbeitslosigkeit hochgeschnellt und in Deutschland sind bis dato weniger Ausbildungsplätze vergeben worden als im Vorjahr. Doch wie groß muss die Sorge sein? Und was sind passable Lösungsstrategien?
Bislang gab es knapp 430.000 Ausbildungsbetriebe. Inzwischen haben 700.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Vor dem Hintergrund der kritischen Lage, in die viele Betriebe gekommen sind oder noch kommen werden ist fraglich, ob alle Interessierten auch einen Ausbildungsplatz bekommen werden. Laut der Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg wird rund ein Drittel der Ausbildungsbetriebe gar nicht mehr oder weniger ausbilden als im Vorjahr.[1] In der Tourismusbranche werden laut IHK 40 % der Ausbildungsplätze wegfallen.[2]
Bereits im April hat Elke Hannack vom DGB deutlich gemacht, dass es in naher Zukunft schwieriger werden dürfte, Ausbildungsplätze zu erlangen. Nun hat die Bundesregierung ein „Konjunkturpaket“ auf den Weg gebracht, dass Ausbildungsbetriebe unterstützen soll. Für jeden Azubi werden 2000 € gezahlt, für jeden zusätzlichen Azubi gegenüber dem Vorjahr werden 3000 € gezahlt. Das ist erst einmal eine nette Geste, ob sie zu weiteren Ausbildungsplätzen führt steht auf einem anderen Blatt.
Wenn es um die finanziellen Spielräume eines Unternehmens schlecht bestellt ist, würden diese Zahlungen nicht ausreichen, um einen Azubi zu finanzieren, für den man eigentlich keine Verwendung hätte. Denn obwohl Azubis zum Teil massiv ausgebeutet werden, erhalten sie durch den seit Januar 2020 geltenden Mindestlohn für Azubis mindestens 512 € im ersten Lehrjahr. (Das ist schon lachhaft wenig, wenn man sich überlegt, dass dafür in vielen Städten nicht einmal ein Zimmer gemietet werden kann.) Ein Betrieb muss also perspektivisch ökonomisch profitable Verwendung für eine zusätzliche Arbeitskräfte finden. So besteht Anlass zur Sorge, dass die eingeplanten Mittel zu einer Kapitalkonzentration ohne nennenswerte Ausweitung der Ausbildungsplätze führt. Klar ist zumindest, dass große Unternehmen, die weniger Schaden von der bisherigen Krise genommen haben, munter weiter Ausbilden können. Die allermeisten Unternehmen, die aufgrund der Krise (oder schon davor) wirklich keine zusätzlichen Arbeitskräfte einstellen konnten, werden das auch in Zukunft nicht können. Der Kleckerbetrag kann Arbeitskräftebedarf nicht ersetzen. Selbstredend kann die Prämie in dem ein oder anderen Fall hilfreich sein und damit der Motivation dienen, Azubis aufzunehmen. Das räumt aber nicht den Verdacht aus, dass Geld tendenziell zu den großen Player*innen und eher nicht zu den Bedürftigen fließt. Damit verbunden ist die Frage, ob die Motivation notwendig war.
Nicht zuletzt gilt es aber auch zu fragen, ob zum richtigen Verhalten motiviert wird. Schon in den letzten Jahren haben viele Azubis über schlechte Ausbildungsbedingungen und entgrenzte Arbeitsverhältnisse geklagt. Wird das besser, wenn nun ein Kleinbetrag bereitgestellt wird, der eine kurze Einarbeitungszeit, aber sicherlich keine wirkliche Ausbildung gegenfinanziert? Den Betrieben muss stärker auf die Finger geschaut werden und das ist keine Aufgabe, die allein an den Gewerkschaften hängen bleiben darf.
Wenn über ein Steuersystem sichergestellt werden würde, dass Reiche und Unternehmen wieder etwas von dem zurückgeben, was sie zuvor durch Ausbeutung gewonnen haben, stehen Gelder für staatliche Investitionen zur Verfügung, von denen alle profitieren könnten. So kann ein staatliches Ausbildungssystem eingerichtet werden, indem Ausbildungsstandards besser sichergestellt werden. Denn praxisorientierte Bildungswege können auch erreicht werden, ohne einige Unternehmen zu bevorzugen und die Machtgefälle dieser Gesellschaft noch weiter zu vertiefen. Zumal das Vorgehen im Konjunkturpaket nicht einmal Ausbildungsplätze garantieren kann. Es ist lediglich eine sehr undurchdachte Unternehmenssubvention.
Hinzukommt, dass auch schon vor Corona immer weniger Betriebe Ausbildungsplätze angeboten haben, viele Menschen keine Ausbildung finden, Betriebe über Fachkräftemangel klagen und zahlreiche Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Man muss all diese Fakten untersuchen, um ein klares Bild zu bekommen. Denn sie scheinen zunächst widersprüchlich. In den letzten 10 Jahren ist der Anteil an Betrieben, die eine Ausbildung anbieten, von 23,3 % auf 19,7 % gesunken. Entsprechend stieg der Anteil der 20 bis 35-Jährigen, die keine Ausbildung haben. Im Jahr 2018 konnten knapp 25.000 Bewerber*innen nicht versorgt werden, wohingegen 60.000 Plätze unbesetzt blieben, Trend steigend. Wer allein die unbesetzten Plätze betrachtet, mag geneigt sein, eine Entwarnung für die kommende Ausbildungsperiode auszusprechen. Das wäre falsch fahrlässig. Es gibt nämlich Gründe für unbesetzte Plätze: Schlechte Vergütung, schlechte Ausbildungsbedingungen oder eine für die Bewerber*innen inakzeptable Lage.
Doch es gäbe auch Alternativen: Der Staat kann zusätzliche praxisorientierte, gut betreute Ausbildungen aus eigener Hand aufbauen. In der akuten Situation könnten zusätzliche Plätze garantiert werden, indem Fachhochschulen einfach mehr Geld bekommen und weiter geöffnet werden. (Ja eine Fachhochschule ist nicht dasselbe wie eine Ausbildung. Aber es ist für Viele allemal besser als keine Bildungsmöglichkeit zu haben.) Eine weitere Möglichkeit mehr eine praxisorientierte Bildung oder Berufsvorbereitung zu ermöglichen, wäre ein Bildungsfinanzierung, die bei den Betroffenen ankommt. Die Erhöhung des Mindestlohns war ein sinnvoller Schritt. Auch im Angesicht einer drohenden Rezession könnte darüber nachgedacht werden, diese zu erhöhen. Alternativ könnte schuldenfinanziert die Berufsausbildungsbeihilfe (Azubis), das BAföG (Schüler*innen/Student*innen) und das Arbeitslosengeld (erfolglose Bewerber*innen) erhöht werden. Diese Unterstützungen müssten zudem geöffnet werden, damit niemand im Regen steht und sich alle fokussiert auf ein Berufsleben nach der Krise vorbereiten kann – ohne Existenzängste. Die Erhöhung dieser Sozialleistungen wäre nicht nur eine langfristige Investition in Bildung. Sie würden auch kurzfristig den Binnenmarkt ankurbeln. Gerade kleinere Betriebe, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, würden davon profitieren.
Die Regierung schreckt von diesem Schritt zurück, weil Leistungsideologie und Arbeitsfetischismus den CDU-Politiker*innen bis ins Blut übergegangen sind. Bevor irgendein junger Mensch Geld bekommt, dass ihm nicht zustünde untergräbt man lieber das letzte bisschen Wettbewerbsgerechtigkeit, von der die mittlere und obere Mittelschicht profitiert haben. Lieber scheißt man auf den größten Haufen.
[1] https://www.rnd.de/wirtschaft/azubis-der-schwierige-berufseinstieg-in-der-corona-zeit-FGZW5J67GFH6HHDKKEHOL5EPEM.html
[2] https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/06/ausbildung-berlin-corona-stress-unternehmen.html
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