Für eine solidarische Krisenbewältigung
Die aktuelle Wirtschaftskrise in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, dem dadurch entbrannten globalen Wirtschaftskrieg sowie der Pandemie vertieft soziale Ungleichheiten. Für das gesamte Jahr 2022 prognostiziert die Bundesbank aktuell eine Inflation von 7,1 %.[1] Zum Vergleich: In den Jahren 2000 bis 2020 lag die durchschnittliche Inflation laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei 1,4 %.[2] Insbesondere die Kosten der Energie für Mobilität und Haushalt, sowie Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind explodiert. So lagen laut Statistischem Bundesamt allein die Energiepreise im Juli um 35,7 % höher als im Vorjahresmonat. Im gleichen Zeitraum sind die Lebensmittelpreise 14,8 % gestiegen.[3] Sie liegen also bei dem Zwei- beziehungsweise Fünffachem der durchschnittlichen Inflation.
Es ist offensichtlich, dass die Kostensteigerungen die gesellschaftlichen Klassen in unterschiedlicher Weise treffen. Insbesondere Menschen mit geringen Einkommen werden von der Krise massiv getroffen. Die Kostensteigerungen betreffen Ausgaben, die einen Großteil ihres Warenkorbes ausmachen und sich nicht vermeiden lassen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Bemühungen der Regierung die Krise abzufedern oberflächlich oder fehlgeleitet sind. Insbesondere die Energiepreisbremse des Bundes bevorzugt hohe Einkommen, die einen entsprechend erhöhten Verbrauch haben. Derartige „Lösungsversuche“ sind populistisch, weil sie Solidarität vortäuschen, tatsächlich aber Vermögensungleichheit fortschreiben. Selbst das 9‑Euro-Ticket bleibt, als Kurzzeitmaßnahme von drei Monaten und ohne konsequenten Ausbau des Schienenverkehrs, allenfalls eine populäre, keineswegs aber eine ausreichende Reaktion auf die Krise. Die Kombination aus Energiepauschale und Energieumlage trägt die gleiche Handschrift. Die Pauschale geht an einkommenssteuerpflichtige Einkommen. Damit gehen neben Rentner*innen und Arbeitslosen auch Studierende weitgehend leer aus. Zwar gibt es zusätzlich einen Heizkostenzuschuss. Den erhalten jedoch nur jene Studierenden, die zu der mikroskopisch kleinen Gruppe an BAföG-Empfänger*innen gehören. Die Energieumlage werden hingegen alle Menschen zahlen müssen.
Es wiederholt sich aus unserer Sicht ein Muster der Krisenverschiebung neoliberaler Regierungen. Bereits in der Pandemie wurde versucht, die Verbreitung des Virus über die Schließung von Bildungs- und Kulturangeboten zu erreichen. Schulen, Unis, Sportvereine, Jungend- und Kulturzentren mussten zeitweise auf den digitalen Raum ausweichen oder ihr Bildungsarbeit gänzlich einstellen. Produktion und Distribution wurden hingegen kaum eingeschränkt — zum Leidwesen der Arbeiter*innen, deren Schutz vielfach nicht ausreichend sichergestellt wurde.
Für eine Digitalisierung im Schnelldurchlauf wurden nicht die nötigen Mittel bereitgestellt. Weder Netz- noch Breitbandausbau sind sichtlich vorangetrieben worden, der Bund hat keine öffentlich-rechtlichen Kommunikations- und Lernplattformen entwickeln und fördern lassen. Entsprechend musste auf datenunsichere, kommerzielle Angebote ausgewichen werden. Die staatliche Unterstützung für den Erwerb digitaler Endgeräte kam zu spät, zu bürokratisch und in zu geringem Umfang. Nicht einmal Serverstrukturen sind staatlich systematisch bereitgestellt worden. Schulen und Hochschulen müssen sich selbst um ihre technische Ausstattung kümmern. Für die neuen Belastungen während der Pandemie reichten bisherige Personal- und Finanzkapzitäten nicht aus. Ein mediendidaktisches Konzept ließen Bund und Länder ohnehin fehlen. Informelle Bildung fand zweitweise nicht statt. Die Konsequenz dieser Vernachlässigung hat sich nicht zuletzt in dem schlechten gesundheitlichen Zustand von Kindern, Jugendlichen und Studierenden gezeigt.
Unter den Bedingungen der Pandemie waren Studierende mit verschiedenen Problemen konfrontiert: Viele verloren ihre Einkommensquellen, der Austausch mit Kommiliton*innen und Lehrenden war erschwert. Weiterhin fehlte es vielen an Arbeitsplätzen und der nötigen technischen Ausstattung. Diese Erschwernisse hatten sozial ungleiche Auswirkungen. Denn es hängt am sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapital der Betroffenen, wie leicht sie sich Zugänge unter erschwerten Bedingungen beschaffen können. Wer aus wohlsituiertem Hause kommt, konnte während der Pandemie leicht in ein geräumiges Elternhaus zum konzentrierten Arbeiten zurückkehren. Wer aus akademischen Kreisen kam, ließ sich nicht so leicht einschüchtern und forderte die Sprechzeiten und Unterstützung von Lehrenden aktiv ein. Ihr bürgerlicher Habitus und das Gefühl, selbstverständlich akzeptiert zu werden, tragen sie durch die Krise. So vertiefen sich die sozialen Ungleichheiten im Deutschen Bildungswesen weiter.
Die Welt befindet sich nun mitten in einer Wirtschaftskrise. Es deutet sich an, dass hierzulande wieder einmal Studierenden vergessen werden. Dabei befinden sich laut dem neuesten Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 30 % der Studierenden in Armut, 45 % sind armutsgefährdet.[4] Die kürzlich erreichte BAföG-Reform kann diesen Umstand nicht beheben. Tatsächlich kompensiert die Reform nicht einmal die Kostensteigerungen für Energie und Nahrung. Dabei sind die Mieten als dritter großer Ausgabeposten in den meisten Uni-Städten schon vor der derzeitigen Krise massiv gestiegen. In vielen dieser Städte bewegten sich schon im letzten Jahr die Mietkosten für ein WG-Zimmer durchschnittlich zwischen 400 und 500 €. [5]
Nun steigen laut statistischem Bundesamt die Kaltmieten nicht so stark wie die Inflation. Das klingt nach einer Entwarnung, doch dieser Eindruck trügt. Denn hier sind alle Mieten einberechnet, besonders schnell steigen aber Mieten in Studierendenstädten. Vermieter*innen von WGs können sich die Fluktuation und juristische Unbedarftheit ihrer jungen Mieter*innen zunutze machen. So können Mietkostensteigerungen wesentlich leichter durchgesetzt werden. Die stets wechselnden Verträge erleichtern den Vermieter*innen horrende Erhöhungen. Nun kommt im Zuge der Inflation hinzu, dass neu aufgesetzte Verträge mit Indexmieten aufgesetzt werden. Derlei Verträge erlauben den Vermieter*innen ihre Mietpreise an die Inflation zu koppeln. Besonders häufig dürften Studierende von derartigen Mietverträgen betroffen sein, da sie als mobile Gruppe oft ihren Wohnort wechseln müssen und aufgrund ihrer geringen ökonomischen Mittel angewiesen sind jeden Vertrag anzunehmen, der ihnen angeboten wird.
Gegen die weitere Verelendung der Studierenden müssen wir aufbegehren! Wir müssen gemeinsam deutlich machen, dass dieser Entwicklung endlich wirksame Maßnahmen entgegengestellt werden müssen. Dazu nicht nur online sichtbar und laut zu werden sondern unseren Unmut und unsere Existenzängste auch auf die Straße zu tragen. Es geht hier um nicht weniger als um die Frage, ob wir im nächsten Monat noch die Miete zahlen oder morgen ein warmes Essen kaufen können. Auch gesamtgesellschaftlich muss klar werden, was wir schon lange wissen: Auch in Lehrjahren reichen Luft und Liebe nicht zum Leben aus, sondern wir brauchen einen systemischen Wandel, um unsere Existenz zu sichern!
Da nicht nur Studierende, sondern arme und prekär Beschäftigte Menschen besonders von der Krise betroffen sind, wollen und müssen wir daran, mitwirken breite gesellschaftliche Bündnisse aufzubauen.
Konkret fordern wir:
- Mehr sozialer, gemeinwohlorientierter Wohnungsbau
- Dauerhaft kostenloser ÖPNV
- Ausbau des ÖPNV und Bahnnetz
- Eltern‑, alters- und semesterunabhängiges BAföG von 1300 €
- Mietpreisbremse
- Abschaffung der Schuldenbremse
- gerechte Steuerpolitik (Vermögenssteuer)
- Mietpreisbremse
- Strommoratorium
- Vergesellschaft von Energiekonzernen
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/07/PD22_319_611.html#Fussnote1
[5] https://www.forschung-und-lehre.de/lehre/wg-zimmer-kostet-im-schnitt-414-euro-4450
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